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Das Ma? der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada75%: Ken Alder Yvonne Badal: Das Ma? der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada (ISBN: 9783442153350) 2005, München Goldmann Wilhelm, in Deutsch, Taschenbuch.
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Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada
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Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt (2005)

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München: Goldmann Wilhelm, 2005. 2005. Softcover. 18 x 12,6 x 3,4 cm. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal Goldmann Verlag he Measure of all things Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt ... Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal Goldmann Verlag he Measure of all things Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt ... Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick.
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3442153352 - Ken Alder Yvonne Badal: Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt
Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt (2005)

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2005 Softcover 544 S. 18 x 12,6 x 3,4 cm Broschiert Astronomie Ken Alder Yvonne Badal Goldmann Verlag he Measure of all things Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut ""abends"" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes ""Meter"" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt ... Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal Goldmann Verlag he Measure of all things Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut ""abends"" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes ""Meter"" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt ... Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. gebraucht; sehr gut.
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Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada (2005)

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Goldmann Wilhelm, 2005. 2005. Softcover. 18 x 12,6 x 3,4 cm. Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Ortspfarrer hoffen können, hätte ihn nicht einer dieser Lehrer für ein Stiftungsstipendium an der Plessis vorgeschlagen, einer berühmten Pariser Schule, in der halbwüchsigen Knaben römische Werte mittels der schweren Kost von lateinischen Klassikern eingepaukt wurden. Zu den Abgängern dieser Schule zählten tief gläubige Theologen wie zutiefst atheistische Physiker, republikanische Offiziere und berühmte royalistische Gelehrte. Doch die großen Hoffnungen, die man in den jungen Delambre gesetzt hatte, sollten sich beim Examen nicht erfüllen - er fiel durch, weil er die Prüfungsunterlagen nicht lesen konnte. Und da er somit auch kein Stipendium für die Universität erhalten konnte, drängten ihn seine Eltern, nach Amiens zurückzukehren und Priester zu werden. Doch Delambre zog es vor, in der Hauptstadt zu bleiben. Er ernährte sich von Wasser und Brot, studierte tagsüber Altgriechisch und vergnügte sich nachts mit der literarischen Demimonde. Es war die Blütezeit der Aufklärung. Während der ältliche Voltaire Epigramme aus Ferney schickte und der launische Rousseau auf dem Land Diatriben schrieb, schmiedeten jede Menge Möchtegerne in den Pariser Cafés ihre Utopias oder verfassten in ihren Mansarden subversive Pamphlete. Delambre und seine Freunde gründeten sogar einen eigenen literarischen Club. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verdingte sich Delambre für eine Weile als Hauslehrer eines adligen Jungen in der Nähe von Compiègne. Doch um seinen Schüler überhaupt unterrichten zu können, musste er sich erst einmal selbst Mathematik beibringen. Und nachdem er Das verlorene Paradies im Original gelesen hatte, stellte er sich eine Englischfibel für den Unterricht zusammen, die er mit diversen Moralpredigten würzte: »Nach Reichtümern zu streben ist eine Eigenschaft des niederen und kriecherischen Gemüts, wohingegen die Bereitschaft zu einem tugendhaften Leben in Armut immer eine Eigenschaft des edlen und großzügigen Geistes ist.« Er selbst zählte gewiss zu den Armen. Mit 22 Jahren kehrte er nach Paris zurück, wo er dann ein Jahrzehnt lang den Sohn von Jean-Claude Geoffroy d'Assy unterrichten sollte, einem Angehörigen der wohlhabenden Elite und mit den Finanzen des Königreichs befasst. 30 Jahre lang war Delambre Mitglied des Haushalts der Familie d'Assy. Die dankbaren Eltern seines Zöglings boten ihm sogar Sinekure in ihren Finanzbüros an, doch Delambre zog eine bescheidene jährliche Leibrente vor, die es ihm erlauben würde, sich den Rest seines Lebens seinen Studien zu widmen. So mancher viel versprechende junge Mann aus der Provinz ließ sich zu Zeiten des Ancien régime als Laienpriester oder Privatgelehrter mit einer kleinen Pension nieder. Delambre nannte sich damals »Abbé de Lambre«. Es war die Erfüllung seiner Träume. Er führte das Leben eines kosmopolitisch gesinnten Junggesellen, bildete sich intensiv weiter, erduldete klaglos seine Armut und betrachtete die menschlichen Abgründe mit dem Blick des Connaisseurs. Mit zusammengekniffenen Augen, fragend hochgezogenen Augenbrauen und skeptisch verzogenem Mund fixierte er die Welt. Doch er war bereits Mitte 30 und hatte noch immer keine Karriere gemacht. Schon seit einigen Jahren hatte er sich mit den naturwissenschaftlichen Schriften der alten Griechen befasst und seine eigenen Studien erweitert, indem er sich in die moderne Astronomie einlas. Dies brachte ihn schließlich auf das Standardlehrbuch dieser Disziplin, Jérôme Lalandes Astronomie. Während er es durcharbeitete, beschloss er, auch Lalandes Vorlesungen am Collège Royal zu hören. Eines Tages erklärte Professor Lalande seinen Studenten, dass sich die Milchstraße über die Weite der Himmelskugel erstrecke. Prompt ging Delambre im Anschluss zu ihm und erklärte ihm, dass diese Beobachtung bereits von den Griechen gemacht worden sei. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal the Measure of all things Reihe/Serie Goldmann Sachbücher Übersetzer Yvonne Badal Zusatzinfo mit 36 s/w-Illustrationen Sprache deutsch Original-Titel The Measure of all Things Maße 125 x 183 mm Einbandart Paperback Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter ISBN-10 3-442-15335-2 / 3442153352 ISBN-13 978-3-442-15335-0 / 9783442153350 Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Orts.
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Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada (2005)

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ISBN: 9783570005453 bzw. 3570005453, vermutlich in Deutsch, Goldmann Wilhelm, Taschenbuch.

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Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Goldmann Wilhelm, 2005. 2005. Softcover. 18 x 12,6 x 3,4 cm. Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Ortspfarrer hoffen können, hätte ihn nicht einer dieser Lehrer für ein Stiftungsstipendium an der Plessis vorgeschlagen, einer berühmten Pariser Schule, in der halbwüchsigen Knaben römische Werte mittels der schweren Kost von lateinischen Klassikern eingepaukt wurden. Zu den Abgängern dieser Schule zählten tief gläubige Theologen wie zutiefst atheistische Physiker, republikanische Offiziere und berühmte royalistische Gelehrte. Doch die großen Hoffnungen, die man in den jungen Delambre gesetzt hatte, sollten sich beim Examen nicht erfüllen - er fiel durch, weil er die Prüfungsunterlagen nicht lesen konnte. Und da er somit auch kein Stipendium für die Universität erhalten konnte, drängten ihn seine Eltern, nach Amiens zurückzukehren und Priester zu werden. Doch Delambre zog es vor, in der Hauptstadt zu bleiben. Er ernährte sich von Wasser und Brot, studierte tagsüber Altgriechisch und vergnügte sich nachts mit der literarischen Demimonde. Es war die Blütezeit der Aufklärung. Während der ältliche Voltaire Epigramme aus Ferney schickte und der launische Rousseau auf dem Land Diatriben schrieb, schmiedeten jede Menge Möchtegerne in den Pariser Cafés ihre Utopias oder verfassten in ihren Mansarden subversive Pamphlete. Delambre und seine Freunde gründeten sogar einen eigenen literarischen Club. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verdingte sich Delambre für eine Weile als Hauslehrer eines adligen Jungen in der Nähe von Compiègne. Doch um seinen Schüler überhaupt unterrichten zu können, musste er sich erst einmal selbst Mathematik beibringen. Und nachdem er Das verlorene Paradies im Original gelesen hatte, stellte er sich eine Englischfibel für den Unterricht zusammen, die er mit diversen Moralpredigten würzte: »Nach Reichtümern zu streben ist eine Eigenschaft des niederen und kriecherischen Gemüts, wohingegen die Bereitschaft zu einem tugendhaften Leben in Armut immer eine Eigenschaft des edlen und großzügigen Geistes ist.« Er selbst zählte gewiss zu den Armen. Mit 22 Jahren kehrte er nach Paris zurück, wo er dann ein Jahrzehnt lang den Sohn von Jean-Claude Geoffroy d'Assy unterrichten sollte, einem Angehörigen der wohlhabenden Elite und mit den Finanzen des Königreichs befasst. 30 Jahre lang war Delambre Mitglied des Haushalts der Familie d'Assy. Die dankbaren Eltern seines Zöglings boten ihm sogar Sinekure in ihren Finanzbüros an, doch Delambre zog eine bescheidene jährliche Leibrente vor, die es ihm erlauben würde, sich den Rest seines Lebens seinen Studien zu widmen. So mancher viel versprechende junge Mann aus der Provinz ließ sich zu Zeiten des Ancien régime als Laienpriester oder Privatgelehrter mit einer kleinen Pension nieder. Delambre nannte sich damals »Abbé de Lambre«. Es war die Erfüllung seiner Träume. Er führte das Leben eines kosmopolitisch gesinnten Junggesellen, bildete sich intensiv weiter, erduldete klaglos seine Armut und betrachtete die menschlichen Abgründe mit dem Blick des Connaisseurs. Mit zusammengekniffenen Augen, fragend hochgezogenen Augenbrauen und skeptisch verzogenem Mund fixierte er die Welt. Doch er war bereits Mitte 30 und hatte noch immer keine Karriere gemacht. Schon seit einigen Jahren hatte er sich mit den naturwissenschaftlichen Schriften der alten Griechen befasst und seine eigenen Studien erweitert, indem er sich in die moderne Astronomie einlas. Dies brachte ihn schließlich auf das Standardlehrbuch dieser Disziplin, Jérôme Lalandes Astronomie. Während er es durcharbeitete, beschloss er, auch Lalandes Vorlesungen am Collège Royal zu hören. Eines Tages erklärte Professor Lalande seinen Studenten, dass sich die Milchstraße über die Weite der Himmelskugel erstrecke. Prompt ging Delambre im Anschluss zu ihm und erklärte ihm, dass diese Beobachtung bereits von den Griechen gemacht worden sei. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal the Measure of all things Reihe/Serie Goldmann Sachbücher Übersetzer Yvonne Badal Zusatzinfo mit 36 s/w-Illustrationen Sprache deutsch Original-Titel The Measure of all Things Maße 125 x 183 mm Einbandart Paperback Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter ISBN-10 3-442-15335-2 / 3442153352 ISBN-13 978-3-442-15335-0 / 9783442153350 Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Orts.
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Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada (2005)

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ISBN: 9783570005453 bzw. 3570005453, vermutlich in Deutsch, Goldmann Wilhelm, Taschenbuch.

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Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Goldmann Wilhelm, 2005. 2005. Softcover. 18 x 12,6 x 3,4 cm. Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Ortspfarrer hoffen können, hätte ihn nicht einer dieser Lehrer für ein Stiftungsstipendium an der Plessis vorgeschlagen, einer berühmten Pariser Schule, in der halbwüchsigen Knaben römische Werte mittels der schweren Kost von lateinischen Klassikern eingepaukt wurden. Zu den Abgängern dieser Schule zählten tief gläubige Theologen wie zutiefst atheistische Physiker, republikanische Offiziere und berühmte royalistische Gelehrte. Doch die großen Hoffnungen, die man in den jungen Delambre gesetzt hatte, sollten sich beim Examen nicht erfüllen - er fiel durch, weil er die Prüfungsunterlagen nicht lesen konnte. Und da er somit auch kein Stipendium für die Universität erhalten konnte, drängten ihn seine Eltern, nach Amiens zurückzukehren und Priester zu werden. Doch Delambre zog es vor, in der Hauptstadt zu bleiben. Er ernährte sich von Wasser und Brot, studierte tagsüber Altgriechisch und vergnügte sich nachts mit der literarischen Demimonde. Es war die Blütezeit der Aufklärung. Während der ältliche Voltaire Epigramme aus Ferney schickte und der launische Rousseau auf dem Land Diatriben schrieb, schmiedeten jede Menge Möchtegerne in den Pariser Cafés ihre Utopias oder verfassten in ihren Mansarden subversive Pamphlete. Delambre und seine Freunde gründeten sogar einen eigenen literarischen Club. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verdingte sich Delambre für eine Weile als Hauslehrer eines adligen Jungen in der Nähe von Compiègne. Doch um seinen Schüler überhaupt unterrichten zu können, musste er sich erst einmal selbst Mathematik beibringen. Und nachdem er Das verlorene Paradies im Original gelesen hatte, stellte er sich eine Englischfibel für den Unterricht zusammen, die er mit diversen Moralpredigten würzte: »Nach Reichtümern zu streben ist eine Eigenschaft des niederen und kriecherischen Gemüts, wohingegen die Bereitschaft zu einem tugendhaften Leben in Armut immer eine Eigenschaft des edlen und großzügigen Geistes ist.« Er selbst zählte gewiss zu den Armen. Mit 22 Jahren kehrte er nach Paris zurück, wo er dann ein Jahrzehnt lang den Sohn von Jean-Claude Geoffroy d'Assy unterrichten sollte, einem Angehörigen der wohlhabenden Elite und mit den Finanzen des Königreichs befasst. 30 Jahre lang war Delambre Mitglied des Haushalts der Familie d'Assy. Die dankbaren Eltern seines Zöglings boten ihm sogar Sinekure in ihren Finanzbüros an, doch Delambre zog eine bescheidene jährliche Leibrente vor, die es ihm erlauben würde, sich den Rest seines Lebens seinen Studien zu widmen. So mancher viel versprechende junge Mann aus der Provinz ließ sich zu Zeiten des Ancien régime als Laienpriester oder Privatgelehrter mit einer kleinen Pension nieder. Delambre nannte sich damals »Abbé de Lambre«. Es war die Erfüllung seiner Träume. Er führte das Leben eines kosmopolitisch gesinnten Junggesellen, bildete sich intensiv weiter, erduldete klaglos seine Armut und betrachtete die menschlichen Abgründe mit dem Blick des Connaisseurs. Mit zusammengekniffenen Augen, fragend hochgezogenen Augenbrauen und skeptisch verzogenem Mund fixierte er die Welt. Doch er war bereits Mitte 30 und hatte noch immer keine Karriere gemacht. Schon seit einigen Jahren hatte er sich mit den naturwissenschaftlichen Schriften der alten Griechen befasst und seine eigenen Studien erweitert, indem er sich in die moderne Astronomie einlas. Dies brachte ihn schließlich auf das Standardlehrbuch dieser Disziplin, Jérôme Lalandes Astronomie. Während er es durcharbeitete, beschloss er, auch Lalandes Vorlesungen am Collège Royal zu hören. Eines Tages erklärte Professor Lalande seinen Studenten, dass sich die Milchstraße über die Weite der Himmelskugel erstrecke. Prompt ging Delambre im Anschluss zu ihm und erklärte ihm, dass diese Beobachtung bereits von den Griechen gemacht worden sei. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal the Measure of all things Reihe/Serie Goldmann Sachbücher Übersetzer Yvonne Badal Zusatzinfo mit 36 s/w-Illustrationen Sprache deutsch Original-Titel The Measure of all Things Maße 125 x 183 mm Einbandart Paperback Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter ISBN-10 3-442-15335-2 / 3442153352 ISBN-13 978-3-442-15335-0 / 9783442153350 Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Orts.
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Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada (2005)

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ISBN: 9783570005453 bzw. 3570005453, vermutlich in Deutsch, Goldmann Wilhelm, Taschenbuch.

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Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Goldmann Wilhelm, 2005. 2005. Softcover. 18 x 12,6 x 3,4 cm. Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Ortspfarrer hoffen können, hätte ihn nicht einer dieser Lehrer für ein Stiftungsstipendium an der Plessis vorgeschlagen, einer berühmten Pariser Schule, in der halbwüchsigen Knaben römische Werte mittels der schweren Kost von lateinischen Klassikern eingepaukt wurden. Zu den Abgängern dieser Schule zählten tief gläubige Theologen wie zutiefst atheistische Physiker, republikanische Offiziere und berühmte royalistische Gelehrte. Doch die großen Hoffnungen, die man in den jungen Delambre gesetzt hatte, sollten sich beim Examen nicht erfüllen - er fiel durch, weil er die Prüfungsunterlagen nicht lesen konnte. Und da er somit auch kein Stipendium für die Universität erhalten konnte, drängten ihn seine Eltern, nach Amiens zurückzukehren und Priester zu werden. Doch Delambre zog es vor, in der Hauptstadt zu bleiben. Er ernährte sich von Wasser und Brot, studierte tagsüber Altgriechisch und vergnügte sich nachts mit der literarischen Demimonde. Es war die Blütezeit der Aufklärung. Während der ältliche Voltaire Epigramme aus Ferney schickte und der launische Rousseau auf dem Land Diatriben schrieb, schmiedeten jede Menge Möchtegerne in den Pariser Cafés ihre Utopias oder verfassten in ihren Mansarden subversive Pamphlete. Delambre und seine Freunde gründeten sogar einen eigenen literarischen Club. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verdingte sich Delambre für eine Weile als Hauslehrer eines adligen Jungen in der Nähe von Compiègne. Doch um seinen Schüler überhaupt unterrichten zu können, musste er sich erst einmal selbst Mathematik beibringen. Und nachdem er Das verlorene Paradies im Original gelesen hatte, stellte er sich eine Englischfibel für den Unterricht zusammen, die er mit diversen Moralpredigten würzte: »Nach Reichtümern zu streben ist eine Eigenschaft des niederen und kriecherischen Gemüts, wohingegen die Bereitschaft zu einem tugendhaften Leben in Armut immer eine Eigenschaft des edlen und großzügigen Geistes ist.« Er selbst zählte gewiss zu den Armen. Mit 22 Jahren kehrte er nach Paris zurück, wo er dann ein Jahrzehnt lang den Sohn von Jean-Claude Geoffroy d'Assy unterrichten sollte, einem Angehörigen der wohlhabenden Elite und mit den Finanzen des Königreichs befasst. 30 Jahre lang war Delambre Mitglied des Haushalts der Familie d'Assy. Die dankbaren Eltern seines Zöglings boten ihm sogar Sinekure in ihren Finanzbüros an, doch Delambre zog eine bescheidene jährliche Leibrente vor, die es ihm erlauben würde, sich den Rest seines Lebens seinen Studien zu widmen. So mancher viel versprechende junge Mann aus der Provinz ließ sich zu Zeiten des Ancien régime als Laienpriester oder Privatgelehrter mit einer kleinen Pension nieder. Delambre nannte sich damals »Abbé de Lambre«. Es war die Erfüllung seiner Träume. Er führte das Leben eines kosmopolitisch gesinnten Junggesellen, bildete sich intensiv weiter, erduldete klaglos seine Armut und betrachtete die menschlichen Abgründe mit dem Blick des Connaisseurs. Mit zusammengekniffenen Augen, fragend hochgezogenen Augenbrauen und skeptisch verzogenem Mund fixierte er die Welt. Doch er war bereits Mitte 30 und hatte noch immer keine Karriere gemacht. Schon seit einigen Jahren hatte er sich mit den naturwissenschaftlichen Schriften der alten Griechen befasst und seine eigenen Studien erweitert, indem er sich in die moderne Astronomie einlas. Dies brachte ihn schließlich auf das Standardlehrbuch dieser Disziplin, Jérôme Lalandes Astronomie. Während er es durcharbeitete, beschloss er, auch Lalandes Vorlesungen am Collège Royal zu hören. Eines Tages erklärte Professor Lalande seinen Studenten, dass sich die Milchstraße über die Weite der Himmelskugel erstrecke. Prompt ging Delambre im Anschluss zu ihm und erklärte ihm, dass diese Beobachtung bereits von den Griechen gemacht worden sei. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal the Measure of all things Reihe/Serie Goldmann Sachbücher Übersetzer Yvonne Badal Zusatzinfo mit 36 s/w-Illustrationen Sprache deutsch Original-Titel The Measure of all Things Maße 125 x 183 mm Einbandart Paperback Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter ISBN-10 3-442-15335-2 / 3442153352 ISBN-13 978-3-442-15335-0 / 9783442153350 Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Orts.
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Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada (2005)

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ISBN: 9783570005453 bzw. 3570005453, vermutlich in Deutsch, Goldmann Wilhelm, Taschenbuch.

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Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Goldmann Wilhelm, 2005. 2005. Softcover. 18 x 12,6 x 3,4 cm. Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Ortspfarrer hoffen können, hätte ihn nicht einer dieser Lehrer für ein Stiftungsstipendium an der Plessis vorgeschlagen, einer berühmten Pariser Schule, in der halbwüchsigen Knaben römische Werte mittels der schweren Kost von lateinischen Klassikern eingepaukt wurden. Zu den Abgängern dieser Schule zählten tief gläubige Theologen wie zutiefst atheistische Physiker, republikanische Offiziere und berühmte royalistische Gelehrte. Doch die großen Hoffnungen, die man in den jungen Delambre gesetzt hatte, sollten sich beim Examen nicht erfüllen - er fiel durch, weil er die Prüfungsunterlagen nicht lesen konnte. Und da er somit auch kein Stipendium für die Universität erhalten konnte, drängten ihn seine Eltern, nach Amiens zurückzukehren und Priester zu werden. Doch Delambre zog es vor, in der Hauptstadt zu bleiben. Er ernährte sich von Wasser und Brot, studierte tagsüber Altgriechisch und vergnügte sich nachts mit der literarischen Demimonde. Es war die Blütezeit der Aufklärung. Während der ältliche Voltaire Epigramme aus Ferney schickte und der launische Rousseau auf dem Land Diatriben schrieb, schmiedeten jede Menge Möchtegerne in den Pariser Cafés ihre Utopias oder verfassten in ihren Mansarden subversive Pamphlete. Delambre und seine Freunde gründeten sogar einen eigenen literarischen Club. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verdingte sich Delambre für eine Weile als Hauslehrer eines adligen Jungen in der Nähe von Compiègne. Doch um seinen Schüler überhaupt unterrichten zu können, musste er sich erst einmal selbst Mathematik beibringen. Und nachdem er Das verlorene Paradies im Original gelesen hatte, stellte er sich eine Englischfibel für den Unterricht zusammen, die er mit diversen Moralpredigten würzte: »Nach Reichtümern zu streben ist eine Eigenschaft des niederen und kriecherischen Gemüts, wohingegen die Bereitschaft zu einem tugendhaften Leben in Armut immer eine Eigenschaft des edlen und großzügigen Geistes ist.« Er selbst zählte gewiss zu den Armen. Mit 22 Jahren kehrte er nach Paris zurück, wo er dann ein Jahrzehnt lang den Sohn von Jean-Claude Geoffroy d'Assy unterrichten sollte, einem Angehörigen der wohlhabenden Elite und mit den Finanzen des Königreichs befasst. 30 Jahre lang war Delambre Mitglied des Haushalts der Familie d'Assy. Die dankbaren Eltern seines Zöglings boten ihm sogar Sinekure in ihren Finanzbüros an, doch Delambre zog eine bescheidene jährliche Leibrente vor, die es ihm erlauben würde, sich den Rest seines Lebens seinen Studien zu widmen. So mancher viel versprechende junge Mann aus der Provinz ließ sich zu Zeiten des Ancien régime als Laienpriester oder Privatgelehrter mit einer kleinen Pension nieder. Delambre nannte sich damals »Abbé de Lambre«. Es war die Erfüllung seiner Träume. Er führte das Leben eines kosmopolitisch gesinnten Junggesellen, bildete sich intensiv weiter, erduldete klaglos seine Armut und betrachtete die menschlichen Abgründe mit dem Blick des Connaisseurs. Mit zusammengekniffenen Augen, fragend hochgezogenen Augenbrauen und skeptisch verzogenem Mund fixierte er die Welt. Doch er war bereits Mitte 30 und hatte noch immer keine Karriere gemacht. Schon seit einigen Jahren hatte er sich mit den naturwissenschaftlichen Schriften der alten Griechen befasst und seine eigenen Studien erweitert, indem er sich in die moderne Astronomie einlas. Dies brachte ihn schließlich auf das Standardlehrbuch dieser Disziplin, Jérôme Lalandes Astronomie. Während er es durcharbeitete, beschloss er, auch Lalandes Vorlesungen am Collège Royal zu hören. Eines Tages erklärte Professor Lalande seinen Studenten, dass sich die Milchstraße über die Weite der Himmelskugel erstrecke. Prompt ging Delambre im Anschluss zu ihm und erklärte ihm, dass diese Beobachtung bereits von den Griechen gemacht worden sei. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal the Measure of all things Reihe/Serie Goldmann Sachbücher Übersetzer Yvonne Badal Zusatzinfo mit 36 s/w-Illustrationen Sprache deutsch Original-Titel The Measure of all Things Maße 125 x 183 mm Einbandart Paperback Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter ISBN-10 3-442-15335-2 / 3442153352 ISBN-13 978-3-442-15335-0 / 9783442153350 Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Orts.
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Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada (2005)

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ISBN: 9783570005453 bzw. 3570005453, vermutlich in Deutsch, Goldmann Wilhelm, Taschenbuch.

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Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Goldmann Wilhelm, 2005. 2005. Softcover. 18 x 12,6 x 3,4 cm. Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Ortspfarrer hoffen können, hätte ihn nicht einer dieser Lehrer für ein Stiftungsstipendium an der Plessis vorgeschlagen, einer berühmten Pariser Schule, in der halbwüchsigen Knaben römische Werte mittels der schweren Kost von lateinischen Klassikern eingepaukt wurden. Zu den Abgängern dieser Schule zählten tief gläubige Theologen wie zutiefst atheistische Physiker, republikanische Offiziere und berühmte royalistische Gelehrte. Doch die großen Hoffnungen, die man in den jungen Delambre gesetzt hatte, sollten sich beim Examen nicht erfüllen - er fiel durch, weil er die Prüfungsunterlagen nicht lesen konnte. Und da er somit auch kein Stipendium für die Universität erhalten konnte, drängten ihn seine Eltern, nach Amiens zurückzukehren und Priester zu werden. Doch Delambre zog es vor, in der Hauptstadt zu bleiben. Er ernährte sich von Wasser und Brot, studierte tagsüber Altgriechisch und vergnügte sich nachts mit der literarischen Demimonde. Es war die Blütezeit der Aufklärung. Während der ältliche Voltaire Epigramme aus Ferney schickte und der launische Rousseau auf dem Land Diatriben schrieb, schmiedeten jede Menge Möchtegerne in den Pariser Cafés ihre Utopias oder verfassten in ihren Mansarden subversive Pamphlete. Delambre und seine Freunde gründeten sogar einen eigenen literarischen Club. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verdingte sich Delambre für eine Weile als Hauslehrer eines adligen Jungen in der Nähe von Compiègne. Doch um seinen Schüler überhaupt unterrichten zu können, musste er sich erst einmal selbst Mathematik beibringen. Und nachdem er Das verlorene Paradies im Original gelesen hatte, stellte er sich eine Englischfibel für den Unterricht zusammen, die er mit diversen Moralpredigten würzte: »Nach Reichtümern zu streben ist eine Eigenschaft des niederen und kriecherischen Gemüts, wohingegen die Bereitschaft zu einem tugendhaften Leben in Armut immer eine Eigenschaft des edlen und großzügigen Geistes ist.« Er selbst zählte gewiss zu den Armen. Mit 22 Jahren kehrte er nach Paris zurück, wo er dann ein Jahrzehnt lang den Sohn von Jean-Claude Geoffroy d'Assy unterrichten sollte, einem Angehörigen der wohlhabenden Elite und mit den Finanzen des Königreichs befasst. 30 Jahre lang war Delambre Mitglied des Haushalts der Familie d'Assy. Die dankbaren Eltern seines Zöglings boten ihm sogar Sinekure in ihren Finanzbüros an, doch Delambre zog eine bescheidene jährliche Leibrente vor, die es ihm erlauben würde, sich den Rest seines Lebens seinen Studien zu widmen. So mancher viel versprechende junge Mann aus der Provinz ließ sich zu Zeiten des Ancien régime als Laienpriester oder Privatgelehrter mit einer kleinen Pension nieder. Delambre nannte sich damals »Abbé de Lambre«. Es war die Erfüllung seiner Träume. Er führte das Leben eines kosmopolitisch gesinnten Junggesellen, bildete sich intensiv weiter, erduldete klaglos seine Armut und betrachtete die menschlichen Abgründe mit dem Blick des Connaisseurs. Mit zusammengekniffenen Augen, fragend hochgezogenen Augenbrauen und skeptisch verzogenem Mund fixierte er die Welt. Doch er war bereits Mitte 30 und hatte noch immer keine Karriere gemacht. Schon seit einigen Jahren hatte er sich mit den naturwissenschaftlichen Schriften der alten Griechen befasst und seine eigenen Studien erweitert, indem er sich in die moderne Astronomie einlas. Dies brachte ihn schließlich auf das Standardlehrbuch dieser Disziplin, Jérôme Lalandes Astronomie. Während er es durcharbeitete, beschloss er, auch Lalandes Vorlesungen am Collège Royal zu hören. Eines Tages erklärte Professor Lalande seinen Studenten, dass sich die Milchstraße über die Weite der Himmelskugel erstrecke. Prompt ging Delambre im Anschluss zu ihm und erklärte ihm, dass diese Beobachtung bereits von den Griechen gemacht worden sei. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal the Measure of all things Reihe/Serie Goldmann Sachbücher Übersetzer Yvonne Badal Zusatzinfo mit 36 s/w-Illustrationen Sprache deutsch Original-Titel The Measure of all Things Maße 125 x 183 mm Einbandart Paperback Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter ISBN-10 3-442-15335-2 / 3442153352 ISBN-13 978-3-442-15335-0 / 9783442153350 Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Orts.
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Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada (2005)

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ISBN: 9783570005453 bzw. 3570005453, vermutlich in Deutsch, Goldmann Wilhelm, Taschenbuch.

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Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Goldmann Wilhelm, 2005. 2005. Softcover. 18 x 12,6 x 3,4 cm. Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Ortspfarrer hoffen können, hätte ihn nicht einer dieser Lehrer für ein Stiftungsstipendium an der Plessis vorgeschlagen, einer berühmten Pariser Schule, in der halbwüchsigen Knaben römische Werte mittels der schweren Kost von lateinischen Klassikern eingepaukt wurden. Zu den Abgängern dieser Schule zählten tief gläubige Theologen wie zutiefst atheistische Physiker, republikanische Offiziere und berühmte royalistische Gelehrte. Doch die großen Hoffnungen, die man in den jungen Delambre gesetzt hatte, sollten sich beim Examen nicht erfüllen - er fiel durch, weil er die Prüfungsunterlagen nicht lesen konnte. Und da er somit auch kein Stipendium für die Universität erhalten konnte, drängten ihn seine Eltern, nach Amiens zurückzukehren und Priester zu werden. Doch Delambre zog es vor, in der Hauptstadt zu bleiben. Er ernährte sich von Wasser und Brot, studierte tagsüber Altgriechisch und vergnügte sich nachts mit der literarischen Demimonde. Es war die Blütezeit der Aufklärung. Während der ältliche Voltaire Epigramme aus Ferney schickte und der launische Rousseau auf dem Land Diatriben schrieb, schmiedeten jede Menge Möchtegerne in den Pariser Cafés ihre Utopias oder verfassten in ihren Mansarden subversive Pamphlete. Delambre und seine Freunde gründeten sogar einen eigenen literarischen Club. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verdingte sich Delambre für eine Weile als Hauslehrer eines adligen Jungen in der Nähe von Compiègne. Doch um seinen Schüler überhaupt unterrichten zu können, musste er sich erst einmal selbst Mathematik beibringen. Und nachdem er Das verlorene Paradies im Original gelesen hatte, stellte er sich eine Englischfibel für den Unterricht zusammen, die er mit diversen Moralpredigten würzte: »Nach Reichtümern zu streben ist eine Eigenschaft des niederen und kriecherischen Gemüts, wohingegen die Bereitschaft zu einem tugendhaften Leben in Armut immer eine Eigenschaft des edlen und großzügigen Geistes ist.« Er selbst zählte gewiss zu den Armen. Mit 22 Jahren kehrte er nach Paris zurück, wo er dann ein Jahrzehnt lang den Sohn von Jean-Claude Geoffroy d'Assy unterrichten sollte, einem Angehörigen der wohlhabenden Elite und mit den Finanzen des Königreichs befasst. 30 Jahre lang war Delambre Mitglied des Haushalts der Familie d'Assy. Die dankbaren Eltern seines Zöglings boten ihm sogar Sinekure in ihren Finanzbüros an, doch Delambre zog eine bescheidene jährliche Leibrente vor, die es ihm erlauben würde, sich den Rest seines Lebens seinen Studien zu widmen. So mancher viel versprechende junge Mann aus der Provinz ließ sich zu Zeiten des Ancien régime als Laienpriester oder Privatgelehrter mit einer kleinen Pension nieder. Delambre nannte sich damals »Abbé de Lambre«. Es war die Erfüllung seiner Träume. Er führte das Leben eines kosmopolitisch gesinnten Junggesellen, bildete sich intensiv weiter, erduldete klaglos seine Armut und betrachtete die menschlichen Abgründe mit dem Blick des Connaisseurs. Mit zusammengekniffenen Augen, fragend hochgezogenen Augenbrauen und skeptisch verzogenem Mund fixierte er die Welt. Doch er war bereits Mitte 30 und hatte noch immer keine Karriere gemacht. Schon seit einigen Jahren hatte er sich mit den naturwissenschaftlichen Schriften der alten Griechen befasst und seine eigenen Studien erweitert, indem er sich in die moderne Astronomie einlas. Dies brachte ihn schließlich auf das Standardlehrbuch dieser Disziplin, Jérôme Lalandes Astronomie. Während er es durcharbeitete, beschloss er, auch Lalandes Vorlesungen am Collège Royal zu hören. Eines Tages erklärte Professor Lalande seinen Studenten, dass sich die Milchstraße über die Weite der Himmelskugel erstrecke. Prompt ging Delambre im Anschluss zu ihm und erklärte ihm, dass diese Beobachtung bereits von den Griechen gemacht worden sei. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal the Measure of all things Reihe/Serie Goldmann Sachbücher Übersetzer Yvonne Badal Zusatzinfo mit 36 s/w-Illustrationen Sprache deutsch Original-Titel The Measure of all Things Maße 125 x 183 mm Einbandart Paperback Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter ISBN-10 3-442-15335-2 / 3442153352 ISBN-13 978-3-442-15335-0 / 9783442153350 Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Orts.
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Ken Alder Yvonne Badal

Das Maß der Welt: Die Suche nach dem Urmeter von (Autor), The Measure of all things Das Mass der Welt Astronomie Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter Bada (2005)

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ISBN: 9783570005453 bzw. 3570005453, vermutlich in Deutsch, Goldmann Wilhelm, Taschenbuch.

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Von Händler/Antiquariat, BOOK-SERVICE Lars Lutzer - ANTIQUARIAN BOOKS - LITERATURE SEARCH *** BOOKSERVICE *** ANTIQUARIAN RESEARCH.
Goldmann Wilhelm, 2005. 2005. Softcover. 18 x 12,6 x 3,4 cm. Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Ortspfarrer hoffen können, hätte ihn nicht einer dieser Lehrer für ein Stiftungsstipendium an der Plessis vorgeschlagen, einer berühmten Pariser Schule, in der halbwüchsigen Knaben römische Werte mittels der schweren Kost von lateinischen Klassikern eingepaukt wurden. Zu den Abgängern dieser Schule zählten tief gläubige Theologen wie zutiefst atheistische Physiker, republikanische Offiziere und berühmte royalistische Gelehrte. Doch die großen Hoffnungen, die man in den jungen Delambre gesetzt hatte, sollten sich beim Examen nicht erfüllen - er fiel durch, weil er die Prüfungsunterlagen nicht lesen konnte. Und da er somit auch kein Stipendium für die Universität erhalten konnte, drängten ihn seine Eltern, nach Amiens zurückzukehren und Priester zu werden. Doch Delambre zog es vor, in der Hauptstadt zu bleiben. Er ernährte sich von Wasser und Brot, studierte tagsüber Altgriechisch und vergnügte sich nachts mit der literarischen Demimonde. Es war die Blütezeit der Aufklärung. Während der ältliche Voltaire Epigramme aus Ferney schickte und der launische Rousseau auf dem Land Diatriben schrieb, schmiedeten jede Menge Möchtegerne in den Pariser Cafés ihre Utopias oder verfassten in ihren Mansarden subversive Pamphlete. Delambre und seine Freunde gründeten sogar einen eigenen literarischen Club. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verdingte sich Delambre für eine Weile als Hauslehrer eines adligen Jungen in der Nähe von Compiègne. Doch um seinen Schüler überhaupt unterrichten zu können, musste er sich erst einmal selbst Mathematik beibringen. Und nachdem er Das verlorene Paradies im Original gelesen hatte, stellte er sich eine Englischfibel für den Unterricht zusammen, die er mit diversen Moralpredigten würzte: »Nach Reichtümern zu streben ist eine Eigenschaft des niederen und kriecherischen Gemüts, wohingegen die Bereitschaft zu einem tugendhaften Leben in Armut immer eine Eigenschaft des edlen und großzügigen Geistes ist.« Er selbst zählte gewiss zu den Armen. Mit 22 Jahren kehrte er nach Paris zurück, wo er dann ein Jahrzehnt lang den Sohn von Jean-Claude Geoffroy d'Assy unterrichten sollte, einem Angehörigen der wohlhabenden Elite und mit den Finanzen des Königreichs befasst. 30 Jahre lang war Delambre Mitglied des Haushalts der Familie d'Assy. Die dankbaren Eltern seines Zöglings boten ihm sogar Sinekure in ihren Finanzbüros an, doch Delambre zog eine bescheidene jährliche Leibrente vor, die es ihm erlauben würde, sich den Rest seines Lebens seinen Studien zu widmen. So mancher viel versprechende junge Mann aus der Provinz ließ sich zu Zeiten des Ancien régime als Laienpriester oder Privatgelehrter mit einer kleinen Pension nieder. Delambre nannte sich damals »Abbé de Lambre«. Es war die Erfüllung seiner Träume. Er führte das Leben eines kosmopolitisch gesinnten Junggesellen, bildete sich intensiv weiter, erduldete klaglos seine Armut und betrachtete die menschlichen Abgründe mit dem Blick des Connaisseurs. Mit zusammengekniffenen Augen, fragend hochgezogenen Augenbrauen und skeptisch verzogenem Mund fixierte er die Welt. Doch er war bereits Mitte 30 und hatte noch immer keine Karriere gemacht. Schon seit einigen Jahren hatte er sich mit den naturwissenschaftlichen Schriften der alten Griechen befasst und seine eigenen Studien erweitert, indem er sich in die moderne Astronomie einlas. Dies brachte ihn schließlich auf das Standardlehrbuch dieser Disziplin, Jérôme Lalandes Astronomie. Während er es durcharbeitete, beschloss er, auch Lalandes Vorlesungen am Collège Royal zu hören. Eines Tages erklärte Professor Lalande seinen Studenten, dass sich die Milchstraße über die Weite der Himmelskugel erstrecke. Prompt ging Delambre im Anschluss zu ihm und erklärte ihm, dass diese Beobachtung bereits von den Griechen gemacht worden sei. Astronomie Ken Alder Yvonne Badal the Measure of all things Reihe/Serie Goldmann Sachbücher Übersetzer Yvonne Badal Zusatzinfo mit 36 s/w-Illustrationen Sprache deutsch Original-Titel The Measure of all Things Maße 125 x 183 mm Einbandart Paperback Naturwissenschaften Messen Technik Messtechnik Naturwissenschaftler Naturwissenschaftlich Urmeter ISBN-10 3-442-15335-2 / 3442153352 ISBN-13 978-3-442-15335-0 / 9783442153350 Mit der Akribie des Wissenschaftlers recherchiert, mit der Eleganz des Romanciers geschrieben – ein Leseabenteuer aus dem Bereich der Wissenschaftsgeschichte. Im Jahre 1792, mitten im Chaos der Französischen Revolution, sind zwei Astronomen akribisch dabei, eine ebenso weit reichende Revolution, nicht nur in der Geometrie, einzuläuten. Sie wollen das bislang herrschende Gewirr von unterschiedlichen Maßen und Gewichten durch ein demokratisches, metrisches System ersetzen. Das so genannte Meter soll von der Krümmung der Erde abgeleitet, exakt berechnet und zum Maß aller Dinge werden. Dieses ehrgeizige Vorhaben gerät zum gefährlichen Abenteuer. Beim Vermessen des französischen Meridianbogens schleicht sich zwischen zehntausenden präziser Daten ein kleiner, aber verhängnisvoller Fehler ein. Der zunächst verschwiegene Rechenfehler gerät einem der Wissenschaftler zum persönlichen Schicksal. Doch am Ende wurde gerade durch diesen Fehler die Wissenschaft revolutioniert. Die Welt erhielt ein neues Maß, das heute 95 Prozent aller Menschen nutzen und die Welt zusammenwachsen ließ. Ken Alder erzählt von menschlicher Erfindungsgabe und der sinnlichen Leidenschaft für Zahlen. Ein Sachbuch, das buchstäblich neue Maßstäbe setzt. Ich habe zwar naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, bin aber der festen Überzeugung, dass dieses Buch auch Laien auf diesem Gebiet eine spannende Lektüre bietet. Neben gut überschaubaren und wohldosierten technischen Sachverhalten erfährt man auch viel über die Geschichte zur Zeit der französischen Revolution und die Menschen, die zu dieser Zeit gelebt und die Wissenschaft vorangebracht haben. Dabei ist das Buch so spannend geschrieben, dass es sich auch gut "abends" lesen lässt. Im Kern wird die Historie des abstrakten Begriffes "Meter" erzählt, den wir alle tagtäglich und selbstverständlich benutzen, dessen Ursprung aber nur den wenigsten bekannt ist. Am Ende dieses Projektes, so erfährt der Leser, hat die Wissenschaft noch weit mehr gelernt Dadurch, dass im Buch immer wieder auf die Gegenwart Bezug genommen wird, verliert der Leser diese auch nie aus den Augen und bekommt gleichzeitig Unterstützung beim lesen. Einige sinnvolle Abbildungen und Karten helfen beim Verständnis und bewahren den Überblick. Ken Alder studierte Physik in Harvard, wo er 1991 in Wissenschaftsgeschichte promovierte. Seitdem unterrichtet er u. A. an der Northwestern University. Seinen ersten Roman veröffentlichte er 1987. Sein erstes Sachbuch Engineering the Revolution Der Astronom, der gen Norden ging »Fabrizio zeigte seinen Pass vor, der ihn als einen mit seiner Ware hausierenden Barometerhändler auswies.›Sind diese Kerle dumm!‹ brummte der Offizier. ›Das ist dann doch zu stark!‹« Stendhal, Die Kartause von Parma Die Gegend war seltsam ruhig, die Straßen verlassen. Die örtliche Nationalgarde hatte Order bekommen, jede unbekannte Person anzuhalten, »welche sich zu Fuß, zu Pferde oder mit der Kutsche fortbewegt. Mit der von Gleichheit und Freiheit gebotenen Freundlichkeit soll ihre Identität geprüft und sie, so sich die Ausweise als gefälscht erweisen, zum Distriktbüro geleitet werden, wo sie nach Recht und Gesetz Rede und Antwort stehen möge.« Gerade erst an diesem Nachmittag hatte ein Gendarm einem Mann, der mit Frau und Tochter in einer Kutsche unterwegs gewesen war, nahe gelegt, auf schnellstem Wege kehrtzumachen. Die Festung von Verdun sei gefallen, und achtzigtausend preußische Soldaten seien auf dem Marsch durch die Champagne in Richtung Paris, um für Frankreichs König den Thron zurückzuerobern. Alles sei auf einen heftigen Angriff vorbereitet und aus der Hauptstadt die Verordnung eingetroffen, dass sich die Bewohner aller umliegenden Dörfer »mit ihren Mitbürgern die Ehre teilen mögen, ihr Vaterland zu retten oder für seine Verteidigung zu sterben«. In Paris selbst, hatte der Gendarm den Reisenden noch erklärt, hätten Patrioten bereits begonnen, alle Gefangenen zu massakrieren, damit es nicht zu einem Aufstand für die Aristokratie kommen konnte. Am selben Tag, es war der 4. September 1792, stand ein Mann im obersten Gemäuer eines Schlosses, das die höchste Erhebung der Region krönte, über ein seltsames Gerät gebeugt und beobachtete den Horizont. Es handelte sich ganz offensichtlich um einen Gelehrten, denn er hatte im rund 22 Fuß hohen, pyramidenförmigen Dach eines Pavillons, von dem die Gäste des Schlosses den Ausblick zu genießen pflegten, ein Observatorium aufgebaut. In regelmäßigen Abständen hob er den Kopf von dem Gerät, um dann zuerst ein Fernrohr, das auf einem drehbaren Messingbalken montiert war, und anschließend ein zweites, das auf einem verstrebten Kreuz saß, auf ihren jeweiligen Kreisen gegeneinander zu arretieren. Das Ganze sah aus, als versuchte er ein mechanisches Puzzle zu lösen. Dann beugte er sich wieder herab und legte das Auge erneut an das Okular, während einer seiner Gehilfen die Messwinkel an den Nonien ablas und ein zweiter die Werte notierte. Es war ein höchst delikater Vorgang, der bereits durch die geringste Bewegung gestört werden konnte. Die Männer wagten nicht einmal, ihr Gewicht zu verlagern, weil die Holzdielen die Erschütterung sofort auf das Instrument übertragen und Messungen verzerrt hätten, die zur Feststellung des singulären und für alle Ewigkeit gültigen Maßes aller Dinge dienen sollten. »Belle-Assise« war ein angemessener Name für dieses Château. Es war in der Tat »schön gelegen« und lange schon berühmt für den Ausblick, den es über das fruchtbare Brie-Tal bot. Seit dem 13. Jahrhundert beherrschte es diesen Hügel. Sein gegenwärtiger Besitzer war der Comte de Vissec, welcher der Expedition höchstpersönlich gestattet hatte, in seinem Bellevue zu arbeiten. Am westlichen Horizont konnte der Gelehrte zwei Kuppeln erkennen, die sich über das graue Häusermeer von Paris erhoben: die bleierne des neuen Panthéon und die goldene des alten Invalidendoms. Am südlichen Horizont erblickte er die gotische Kirche von Brie-Comte-Robert und am nördlichen den Glockenturm von Dammartin, der zu dieser Zeit bereits zur Zerstörung verurteilt war. Näher an seinem Beobachtungsposten sah er den Turm des mittelalterlichen Verlieses von Montjai, von dem aus er seine Messungen ursprünglich hatte vornehmen wollen. Auftragsgemäß würde er die Winkel zwischen diesen Stätten mit einer bislang unerreichten Präzision messen. An diesem Abend, nachdem der Gelehrte den vierten und letzten Tag seiner Beobachtungen in Belle-Assise beendet hatte - es war schon Nacht geworden, und seine Gehilfen verluden gerade die Gerätschaften in die Kutschen -, traf an Stelle der erwarteten Postpferde, die in Lagny geordert worden waren, eine Abteilung der Nationalgarde ein, schwer bewaffnet mit Musketen und abgefüllt mit Wein. Die Gardisten hatten vom Stadtrat in Lagny die Erlaubnis erhalten, alle Schlösser der Umgebung zu durchsuchen, denn in der Gegend kursierten Gerüchte über die Anwesenheit von Hochverrätern. Jedermann mutmaßte, dass die vier Fremden auf Belle-Assise für die Preußen spionierten. Oder stimmte es vielleicht nicht, dass sie dem Zimmermann Petit-Jean Geld gegeben hatten, um ein eigenartiges Gerüst auf dem verfallenen Turm von Montjai zu errichten, in dem, wie jeder wusste, das Gespenst eines mörderischen Priesters sein Unwesen trieb? Jedenfalls sollten sich diese Männer erst einmal ausweisen. Der Gelehrte zeigte seine Papiere vor, die ihn als Jean-Baptiste-Joseph Delambre auswiesen, »einstimmig von der Nationalversammlung beauftragt, gemeinsam mit M. Méchain den Meridian von Dünkirchen bis Barcelona zu vermessen«. Delambre war ein kompakt gebauter, kräftiger Mann von 42 Jahren und für damalige Zeiten mittlerer Größe - er maß fünf Fuß vier -, mit einem runden Gesicht, einer kräftigen Nase, blauen Augen und braunem Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug. Es war ein freundliches, offenes Gesicht, obwohl es einen eigenartig wachsamen und durch die ständig leicht verzogenen Mundwinkel auch ironischen Ausdruck hatte. Außerdem wirkten die blauen Augen irgendwie nackt - erst bei näherem Hinsehen erkannte man, warum: Delambre hatte keine Wimpern. Doch es war schwierig, ihn näher zu betrachten, denn er war selbst Beobachter und kein Mann, der sich so einfach beobachten ließ. Auch seine Gehilfen händigten ihre Papiere aus. Der Erste war Michel Lefrançais, ein 26-jähriger Lehrling der Astronomie und Neffe des ruhmreichen Astronomen Jerôme Lalande; der Zweite hieß Benjamin Bellet und war ein 32-jähriger Instrumentenbauer, der bei Etienne Lenoir in die Lehre gegangen war. Lenoirs Werkstatt hatte die neuartigen Repetitionskreise - nach ihrem Erfinder auch »Bordakreise« genannt - für diese Expedition angefertigt, jene Geräte, die diesen Männern eine so einzigartige Messgenauigkeit ermöglichen sollten. Der Dritte schließlich war ein Diener namens Michel. Der Anführer der Nationalgardisten schien mit den Dokumenten zufrieden zu sein, doch die anderen murrten. Die Ausweise, sagten sie, seien abgelaufen - oder genauer gesagt von einer Behörde ausgestellt worden, die selbst abgelaufen war. Denn seit ihrer Ausfertigung vor vier Monaten war Ludwig XVI. von den Aufständischen abgesetzt und die Republik ausgerufen worden. Delambre versuchte zu erklären, dass er Geodät war, ein Vertreter jener Naturwissenschaft, die Umfang und Gestalt der Erde vermesse, und mit der Mission betraut worden sei, genau dieses zu tun. So unwahrscheinlich dies zum Zeitpunkt eines nationalen Notstands auch klingen möge, so habe die Regierung seiner Mission doch höchste Priorität gegeben. Es sei seine Aufgabe, den Meridian Frankreichs entlangzureisen. Die Akademie der Wissenschaften »Kademie?«, unterbrach ein Nationalgardist, »es gibt keine Kademie mehr! Wir sind jetzt alle gleich. Du kommst mit uns!« Das kann doch nicht stimmen, dachte Delambre, jedenfalls noch nicht. Soweit er wusste, existierte die Akademie nach wie vor. Erst zu Beginn dieser Woche hatte ihn Antoine-Laurent Lavoisier, der große Chemiker und Schatzmeister der Akademie der Wissenschaften, ermahnt, seine Mission keinesfalls aufzugeben, solange er nicht »jede Kraftreserve, über die Ihr verfügt, erschöpft« habe. Jede Einstellung seiner Arbeit und jede Art von persönlichem Versagen würde er vor der Nationalversammlung selbst zu rechtfertigen haben. Im Augenblick schien jedoch jeder Widerstand zwecklos. An eine Freundin schrieb Delambre später: »Sie verfügten über Waffen und wir nur über Vernunft; das war keine Angelegenheit unter Gleichen.« Notgedrungen nahmen Delambre und sein Team also die »Einladung« der Nationalgardisten an und gingen mit ihnen querfeldein durch die Dunkelheit. Unter nachtschwarzem Himmel stapften sie durch dicken Morast, heftiger Regen begann auf sie niederzuprasseln. »Glücklicherweise hatte ich Zeit, meinen Redingote überzuziehen«, schrieb Delambre später. »Weit und breit war niemand außer unserer fünfzehnköpfigen Eskorte, mit der wir uns durchaus vernünftig unterhalten konnten. Man ging aufmerksam mit uns um, warnte uns vor tückischen Stellen im Morast und reichte die Hand, wenn es nötig war, uns herauszuziehen.« Vier Stunden lang begleiteten sie die Gardisten auf ihrer Runde, während diese Häuser nach Waffen durchsuchten und Pferde requirierten. Nach langem Marsch durch Schlick und Dunkelheit erreichten sie um Mitternacht Lagny, gerade rechtzeitig, bevor sie von einem neuerlichen Schauer bis auf die Knochen durchnässt werden konnten. Der Stadtrat tagte bei Kerzenschein, um zu besprechen, wie die Stadt auf den Kriegszustand vorbereitet werden sollte. Bürgermeister Aublan, einst der Vermögensverwalter der örtlichen Abtei (die inzwischen aufgegeben worden war), hatte seinen Bürgern gerade erst dazu gratuliert, den »widerlichen König« vom Thron gestoßen und die »Perfidie all der Verordnungen dieser korrupten Minister und anderen Vampire des Reiches« demaskiert zu haben. Delambre präsentierte den versammelten Räten seine Papiere. Ein Ratsherr erkannte darauf die Signatur des Distrikts Meaux und schlug deshalb vor, Delambre gehen zu lassen. Doch Bürgermeister Aublan war skeptisch. Er befahl, alle vier Expeditionsmitglieder zur Hôtellerie de l'Ours zu eskortieren, wo sie von zwei Füsilieren bis zum Morgen bewacht werden sollten. Allerdings, fügte er hinzu, sollten sich die Herren »nicht als verhaftet, sondern nur als festgehalten betrachten«. In aller Frühe sollte Delambre dann einen Eilboten mit dem Antrag auf Bestätigung seiner Mission an die Distriktverwaltung Meaux schicken. »Nach unserer Ankunft hatten wir nichts zum Wechseln, keine Nachtgewänder usw.; nur ein paar Holzscheite und ein paar gute Gläser schlechten Weins wärmten uns.« Doch noch bedauerlicher als ihren eigenen Zustand fand Delambre den der beiden Füsiliere, die die ganze Nacht im zugigen Korridor herumstehen und vier Männer bewachen mussten, welche nicht die geringste Absicht hatten zu fliehen. In das Expeditionslogbuch schrieb er: »Festgehalten in der Hôtellerie de l'Ours, zwei Posten bewachen die Ausgänge. Der 4. September 1792, Jahr 2 der Freiheit und das erste der Gleichheit«. Am Morgen traf die Bestätigung der Distriktverwaltung ein: Delambres Mission war in der Tat von der höchsten Autorität des Landes sanktioniert worden. Der Astronom hielt es für angebracht, dem Stadtrat vor dem Verlassen der Ortschaft persönlich seinen Dank für die nächtliche Gastfreundschaft auszusprechen. Als er das Rathaus betrat, eilte der Bürgermeister sofort aus seinem Amtszimmer herbei und entschuldigte sich für das »kleine Ungemach« der vergangenen Nacht. Der ungeduldige Nationalgardist, der sich so verächtlich über die Akademie geäußert hatte und mittlerweile seinen Rausch ausgeschlafen zu haben schien, musste dem Ganzen zur Untätigkeit verdammt zusehen. In den Ratsprotokollen wurde festgehalten, dass sich Delambre für »die prompte Genehmigung, seine Reise fortsetzen zu können« bedankte. »Und so endet die wahre und tragikomische Geschichte der großen Gefangennahme des vormaligen Kademikers«, schrieb er an diesem Abend an eine Freundin - als ob seine Probleme damit nicht gerade erst angefangen hätten! Vielleicht hatte Delambres unerschütterlicher Gleichmut auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass er sich erst so spät den Naturwissenschaften zugewandt hatte. Als er sich für Astronomie zu interessieren begonnen hatte, war er bereits Mitte 30 gewesen, in einem Alter also, in dem viele Naturforscher seiner Zeit den Zenit ihres Schaffens längst erreicht oder ihn bereits überschritten hatten. Er war am 16. September 1749 als erstes Kind eines kleinen Tuchhändlers in der Domstadt Amiens geboren worden. Der Familienname Delambre leitete sich vermutlich von lambeau, »Lumpen«, ab. Im Alter von 15 Monaten war er an den Blattern erkrankt, was ihn beinahe das Augenlicht gekostet und für immer seiner Wimpern beraubt hatte. Letzteres mochte es zwar später einfacher für ihn machen, mit dem Fernrohr zu arbeiten (Anfänger pflegen dabei Schwierigkeiten mit den Wimpern zu haben), doch seine schwache Sehfähigkeit prädestinierte ihn nicht für eine Karriere in der beobachtenden Astronomie. Bis zum Alter von 20 Jahren reagierte er ausgesprochen empfindlich auf Sonnenlicht und war zudem kaum in der Lage, seine eigene Handschrift zu entziffern. Er wuchs praktisch mit der Gewissheit heran, eines Tages zu erblinden. Vermutlich begann er gerade deshalb jedes Buch zu verschlingen, das ihm in die Finger kam. Er lernte Englisch und Deutsch und studierte bei den Jesuiten, bis der Orden aus Frankreich ausgewiesen wurde und Amiens drei Ersatzlehrer aus Paris einstellen musste. Bestenfalls hätte Delambre auf eine Anstellung als Orts.
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